[Rezension] George Saunders - Lincoln in the Bardo

Rückentext:
February 1862. The Civil War is less than one year old. The fighting has begun in earnest, and the nation has begun to realize it is in for a long, bloody struggle. Meanwhile, President Lincoln’s beloved eleven-year-old son, Willie, lies upstairs in the White House, gravely ill. In a matter of days, despite predictions of a recovery, Willie dies and is laid to rest in a Georgetown cemetery. “My poor boy, he was too good for this earth,” the president says at the time. “God has called him home.” Newspapers report that a grief-stricken Lincoln returns, alone, to the crypt several times to hold his boy’s body. Willie Lincoln finds himself in a strange purgatory where ghosts mingle, gripe, commiserate, quarrel, and enact bizarre acts of penance. Within this transitional state—called, in the Tibetan tradition, the bardo—a monumental struggle erupts over young Willie’s soul.

Meine Meinung:
Wow - das beschreibt die Lektüre von "Lincoln in the Bardo" wohl am besten. Auch wenn es ein äusserst triviales Wort für ein solch literarisches Werk ist. Dennoch kam ich nicht umhin, während des Lesens immer wieder "Wow" zu denken und erst jetzt nachdem ich das Buch beendet habe.

Aber dieses Wow ist hart erarbeitet. Anfangs dachte ich mehrfach daran, diesen Titel abzubrechen. Denn es ist ein eigenwilliges Buch, das ebenso daherkommt. Lange wusste ich nicht, wo ich mich befand, wer mir was warum erzählt und wo die Handlung ist. Denn das Besondere an "Lincoln in the Bardo", neben dem mysteriösen und leicht gruseligen Schauplatz, ist die Erzählweise.

Normalerweise verfügt jedes Buch über einen Erzähler. Sei es nun ein Ich-Erzähler oder ein sogenannter "Erzähler-Erzähler" oder gar einen auktorialen Erzähler. Jemand ist da, der zu uns spricht. Nur im Drama gibt es keinen Erzähler. Und bei Saunders. Der streicht kurzerhand den Erzähler, führt dafür aber eine Unmenge an Charakteren ein, die berichten. Ähnlich wie bei einem Drama, nur anders.

Da werden Textstücke zusammengetragen, Biographien zitiert, Leute befragt, Briefe gezeigt... Das wirkt auf den ersten Blick alles sehr chaotisch und wirr. Ich zumindest musste mich erst einmal daran gewöhnen.

Dazu kommt der eben schon erwähnte Schauplatz, eine Zwischenwelt, in der alles irgendwie anders funktioniert. Da kommen Figuren mit mehreren Ärmen und Augen daher, manche wachsen, während sie reden und weitere Kuriositäten. Diese aber spiegeln das Leben wider, das die jeweilige Figur geführt hat und sie noch immer verfolgt. Es ist ein Teufelskreis in dem diese Geister oder Gespenster gefangen sind, erst als Willie auftaucht, scheint sich etwas zu ändern.

Saunders berührt das Thema von Leben und Sterben auf eine neue, sehr kreative Art und Weise. Er ist dabei poetisch und einfühlsam. Vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Amerika, von dem wir auch einiges mitbekommen, entspinnt sich so eine Handlung, aus mehreren Blickwinkeln erzählt, emotional aufwühlend und besonders.

Es werden auch noch andere Themen der damaligen Gesellschaft angesprochen, die aber noch immer aktuell sind. Homosexualität, unerfüllte Lebensträume, Sklaverei/Rassismus... Aufgrund der vielen verschiedenen Personen, die uns alle ihren Teil erzählen, wirkt dieses Gerüst weder erzwungen, noch überfüllt oder gar besserwisserisch. Dies beweist, welches Geschick Saunders beim Aufbau dieses Romanes bewiesen hat.

Jede Figur hat auch ihre ganz eigene Sprache, die Stand, Bildungsniveau und Herkunft widerspiegelt. Dies und der fordernde Aufbau des Buches führen dazu, dass "Lincoln in the Bardo" nicht einfach zu lesen ist. Ich gebe zu, ich habe nicht alles verstanden oder mitbekommen. Für Anfänger in der englischen Sprache ist es deshalb nicht empfehlenswert, hier würde ich sagen, lohnt es sich, auf die deutsche Übersetzung zu warten.

Ein Buch, das fordert und einem als Leser etwas abverlangt; einen aber auch mit einer Tiefgründigkeit belohnt, die man oftmals vergeblich sucht. Auf jeden Fall ist es ein Titel wie kaum ein anderer und meiner Ansicht nach hat es den Man Booker Price redlich verdient.


George Saunders
Lincoln in the Bard
HC, 2017
Thorndike

9781410497475

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