[Rezension] Jonas Lüscher - Kraft

Rückentext:
Richard Kraft, Rhetorikprofessor in Tübingen, unglücklich verheiratet und finanziell gebeutelt, hat womöglich einen Ausweg aus seiner Misere gefunden. Sein alter Weggefährte István, Professor an der Stanford Uni­ versity, lädt ihn zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage ins Silicon Valley ein. In Anlehnung an Leibniz’ Antwort auf die Theodizeefrage soll Kraft in einem 18-­minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist und wir es dennoch verbessern können. Für die beste Antwort ist eine Million Dollar ausgelobt. Damit könnte Kraft sich von seiner anspruchs­vollen Frau endlich freikaufen …
Komisch, furios und böse erzählt Jonas Lüscher in diesem klugen Roman von einem Mann, der vor den Trümmern seines Lebens steht, und einer zu jedem Tabubruch bereiten Machtelite, die scheinbar nichts und niemand aufhalten kann.

Meine Meinung:
Nach meinem traumatisierenden Erlebnis mit Paul Auster fürchtete ich mich vor einem weiteren Ausflug ins literarische Feuilleton, trotzdem sah meine Leseliste für den Monat Juni Jonas Lüschers aktuellen Roman "Kraft" vor. Da an der Leseliste grundsätzlich selten was zu Rütteln gilt, nahm ich mir das Buch vor.

Lüscher hat mir vor einigen Jahren bereits stark imponiert, als er "Frühling der Barbaren" veröffentlichte. Dann war es lange ruhig um den Autoren und kommt er mit voller Wucht zurück. Herr Lüscher, vielen Dank, dass Sie anstelle einer Dissertation dieses Werk geschrieben haben. Vielen Dank dafür, dass Sie mein blutendes literarisches Herz geheilt und wieder ganz gemacht haben.

Wie ihr seht, bin ich mehr als nur begeistert von Lüscher und seinem Protagonisten Kraft. Lüscher webt ein feines Netz, mit dem er mich bereits nach den ersten Sätzen gefangen hatte. "Kraft" ist eines jener Bücher, die mir auch jetzt noch im Kopf herumgeistern. Und wie auch schon das Erstlingswerk wirft das Buch elementare Fragen auf, reisst uns den Boden unter den Füssen weg und dringt bis tief in den Kern des Wesentlichen vor.

Dabei haftet diesem Werk schon etwas Metaphysisches an. Schafft es Kraft, inmitten einer Lebenskrise, zu beweisen, dass alles gut ist? Ist überhaupt alles, das ist, gut? Nicht nur Lüschers Hauptcharakter schlägt sich mit diesen Fragen um - früher oder später kommt auch der Leser nicht umhin, sich ebenfalls mit diesen Themen zu beschäftigen.

Auch die Umgebung, in der sich Kraft bewegt, greift diese Gedanken auf und spiegelt sie auf den Leser zurück. Kraft, unterdessen kraftlos, irrt durch das Silicon Valley, wo er auf eine junge Generation trifft, die in völlig anderen Dimensionen denkt. Hier knallen Welten aufeinander, diese Erschütterungen übertragen sich aufs Papier und so auch auf den Leser.

An einigen Stellen wirkt unser Kraft fast schon faustisch - er sammelt sein Wissen, häuft es an, und kommt doch nicht vom Fleck. Er scheitert an einer Aufgabe, von der alle erwarten, dass er sie lösen kann. Er wälzt alle Fakten und Vorlagen, dennoch bleibt ihm die Antwort verborgen. István dagegen wirkt fröhlicher, aufgestellter, lebendiger. Er ist immer wieder der Auslöser, übernimmt somit die Rolle des Mephisto, wenn auch in einer weicheren, sanfteren Form.

Was mich danach umso mehr überraschte, war Lüschers Humor. Trotz des schweren Themas des Buches dringt immer wieder der Schalk durch. Der Autor teilt immer wieder kleine Seitenhiebe aus, nimmt vieles nicht so Ernst wie es Kraft tut und sieht das Absurde in unserem Alltag. Nur schon die Geschichte, wie István zum Desserteuer wurde, ist eine kleine erzählerische Glanzleistung.

Lüschers "Kraft" ist für mich definitiv ein Jahreshighlight, sodass sich der Autor spielerisch und ohne Mühe in den Rang eines Lieblingsautoren hochgeschrieben hat. Dort kann er nun den Platz ausfüllen, der zuvor Paul Auster gehört hatte. So geht es nun mal zu im Leben und in der Literatur.


Jonas Lüscher
Kraft
HC mit Schutzumschlag, 2017
C.H. Beck

978-3-406-70531-1

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