[Rezension] Veselin Gatalo - Getto

Rückentext:
Im Getto, einem Gefängniskomplex mitten in Europa, herrschen Anarchie und das Recht des Stärkeren. Vuk gehört zu keiner der drei Armeen, die in dem abgeschotteten Gebiet um die Vorherrschaft kämpfen. Er ist ein Einzelkämpfer und schlägt sich mit seiner Hündin Chica als Jäger und Dieb durch.
Auf einem seiner Streifzüge stößt er auf den Reporter Luka, der sich illegal Zugang zum Getto verschafft hat. Der Fremde verfügt über wertvolles Wissen: Wer ins Getto gelangt ist, kennt auch den Weg hinaus. Die Nachricht von seiner Anwesenheit verbreitet sich im Getto, alle Armeen sind auf der Jagd nach ihm. Um Luka zu befreien, muss Vuk ihn quer durchs Kampfgebiet führen. 

Meine Meinung:
Auf dieses Buch bin ich nur per Zufall gestossen. Ich war auf Rezi-Suche.de und habe mich etwas durch das Programm geklickt. Unter der Kategorie "Dystopie" fiel mir dann dieser Titel auf. Vor allem, dass es sich dabei um eine Übersetzung aus dem Bosnischen handelt, fand ich von Anfang an faszinierend. Aber auch die Inhaltsangabe fesselte mich vom ersten Augenblick an. Umso glücklicher war ich also, dass mir vom Verlag Schruf & Stipetic ein Leseexemplar zur Verfügung gestellt wurde.

Und das Buch hielt, was es versprach. "Getto" ist anders, vollkommen neu und genau die Art von Lesestoff, nach der ich immer wieder suche. Keine aufgewärmten Reste, sondern innovativ und eigensinnig. Als Leser sollte man sich jedoch erst fragen, ob dieses Buch zum eigenen Lesegeschmack passt. Denn das Getto ist nicht für jeden geeignet.

Die Geschichte entwickelt sich langsam und wird aus Vuks Sichtweise erzählt. Vuk kann knallhart sein, aber aufgrund seiner Lebensweise ist er in vielen auch ausserordentlich naiv. Die Beziehung zu Luka ist ebenfalls äusserst interessant geschildert. Der verwöhnte Luka ist im Getto total verloren, doch ausserhalb wird er zum Führer und Beschützer - hier entwickelt sich somit eine spannende Beziehungskontstellation.

Gatalo gehört zu jenen Autoren, die den Leser mitnehmen und einfach mal in einer völlig fremden Umgebung aussetzen. Uns geht es da also nicht anders als Luka, der keine Ahnung hat, wie genau das Getto funktioniert. Auch wir wissen anfangs praktisch nichts und können uns nur auf Vuk und seine Eindrücke verlassen. So lernen wir langsam das Getto und seine Geschichte näher kennen. Aber ganz alles werden wir wohl nie erfahren, manche Dinge interessieren Vuk einfach nicht, also lässt er sie einfach weg.

Somit gibt es auch keine 100%ige Auflösung. Wer sich an solchen Sachen stört, der wird mit "Getto" wahrscheinlich unzufrieden sein. Ich dagegen fand diese Erzählsicht sehr gut konstruiert. Es passt einfach nicht zu Vuk oder zu dieser Zeit, uns alles auf dem Silberteller zu servieren. Nein, wir haben nicht alles erfahren, aber ebenso geht es Veselin Gatalo, der sich selbst am Ende noch zu Wort meldet. 

Mir hat "Getto" auf jeder Seite gefallen, auch wenn an manchen Stellen ein wenig der Zug fehlt. Wie bereits gesagt, dies ist eine langsame Geschichte, voller Brutalität und Grausamkeiten, aber Gatalo nimmt sich alle Zeit der Welt. Sein Protagonist Vuk macht sich nichts aus Dramaturgie, Pünktlichkeit und Erwartungen anderer. So etwas zählt im Getto nichts. Gatalo bleibt nahe bei seinen Figuren, lässt Vuk Vuk sein und das gibt "Getto" seine Einzigartigkeit.

Ich hoffe sehr, dass wir bald mehr von Veselin Gatalo auf dem deutschsprachigen Markt zu lesen haben werden! Ansonsten muss ich mir wohl noch Serbisch beibringen, um seine Romane und Erzählungen zu lesen. Wert wären sie es auf jeden Fall!


Veselin Gatalo
Getto
E-Book, deutsche Erstausgabe 2013
Schruf & Stipetic

978-3-944359-02-1
 
Aus dem Bosnischen von Blanka Stipetic
Originalausgabe: Geto
AGM, Zagreb 2006

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